Der Rat unterstützt die Proteste von Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie Lehrkräften gegen die Einführung des Abiturs nach 12 Schuljahren auch an Gesamtschulen und fordert die Landesregierung und die Regierungsfraktionen auf, auf eine entsprechende Änderung des Schulgesetzes zu verzichten.
Beratungsverlauf:
Frau Graschtat begründet den Antrag namens der SPD-Fraktion. Sie sieht die hohe Zahl an Abweisungen von Gesamtschulen als Indiz für deren Attraktivität. Ferner bestehe im gesamten Land Niedersachsen eine große Nachfrage nach Gesamtschulplätzen. Die Abweisungen der Gesamtschule Schinkel bewegten sich in jenem Jahr zwischen 100 und 200. Sie verweist auf die Aufhebung des Gesamtschul-Errichtungsverbotes und sieht in der Einführung des Turbo-Abiturs nach zwölf Schuljahren an Gesamtschulen den Versuch, die bisherigen sehr guten Ergebnisse der Arbeit der Gesamtschulen zu schwächen. Sie legt dar, dass durch die Einführung des Turbo-Abiturs das Prinzip des langen gemeinsamen Lernens über alle Schulformen behindert würde, da zu einem viel früheren Zeitpunkt als bisher ein gymnasialer Zug eingerichtet werden müsste. Sie macht deutlich, dass sowohl Eltern und Schüler wie auch Lehrer das Turbo-Abitur an Gesamtschulen ablehnen. Sie verweist auf 800 Protestbriefe von Eltern der Gesamtschule Schinkel an die zuständige Niedersächsische Landesministerin mit dem Appell, auf das Turbo-Abitur zu verzichten. Durch die vorliegende Revolution wolle die SPD-Fraktion die Proteste unterstützen, was auch durch die CDU-Ratsfraktion der Stadt Hannover erfolge. Sie weist darauf hin, dass beabsichtigt sei, die angestrebte Schulgesetznovelle bereits in der Juni-Sitzung des Landtages zu beschließen und äußert die Hoffnung, dass ein entsprechendes Votum des Osnabrücker Rates zu einem Umdenken beitragen könne.
Herr Dr. E. h. Brickwedde weist eine Debatte um das Abitur nach zwölf Jahren zurück und verweist hierzu auf den internationalen Vergleich, in dem die deutschen Hochschulabsolventen zu den Ältesten gehören. Daneben verweist er Frau Graschtat auf das Beispiel anderer Bundesländer und macht deutlich, dass das Land Niedersachsen im Bundesvergleich keinen Sonderfall darstelle. Er verweist darauf, dass in dem Bemühen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern, zwei große Reformen eingeleitet wurden, um die Schulzeit zu verkürzen. Einerseits seien universitär Bachelor- und Master-Studiengänge eingeführt worden; andererseits sei die Schulzeit bis zur Erreichung der Studienfähigkeit von 13 auf zwölf Jahre beschlossen worden. Die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre an Gesamtschulen sieht er in diesem Zusammenhang als folgerichtig an. Er bezeichnet die Gesamtschule aufgrund der besseren personellen Ausstattung als privilegiert. Daneben verweist er darauf, dass Realschülern an Gesamtschulen auch künftig die Möglichkeit verbleibe, nach 13 Jahren das Abitur zu machen. In der Beibehaltung der 13-jährigen Pflichtschulzeit bis zum Abitur an Gesamtschulen sieht er eine Benachteiligung
der Gesamtschüler.
Frau Winkler begrüßt namens der FDP-Fraktion die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren auch an Gesamtschulen. Die Ausgestaltung des Unterrichtes müsse überprüft werden, um zu gewährleisten, dass das gymnasiale Leistungsniveau zu erreichen sei. Ferner werde eine pädagogische Umstellung für notwendig gehalten. Sie hält den Schritt für unerlässlich, um die Wettbewerbsfähigkeit von deutschen Schülern und Schulen im europäischen und internationalen Vergleich zu sichern. Auch sie bezeichnet es als Nachteil für die Absolventen von Gesamtschulen, wenn sie nach 13 Jahren erst die Studienbefähigung erhalten. Sie ruft zur Ablehnung des Antrages auf.
Frau Strangmann hebt die umfangreichen Vorteile von Gesamtschulen hervor, die durch weitgehend integrative Ansätze die Möglichkeiten eines bestmöglichen Schulabschlusses bieten. Durch eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur sieht sie die Erhaltung dieses besonderen pädagogischen Konzeptes gefährdet. Sie spricht sich für die Beibehaltung der bisherigen neben der neuen Möglichkeit aus. Sie bringt die Befürchtung zum Ausdruck, dass durch die erforderlichen Umstrukturierungen an der Gesamtschule das bisherige integrative System gebrochen werde. Sie stellt fest, dass Schüler nach einem guten Sekundarabschluss nach Stufe zehn in eine Schulschleife eintreten müssen, um Anschluss an die Sekundarstufe II zu bekommen und schildert weitere organisatorische Einzelheiten, die dazu führen, das System der Gesamtschule zu stören. Sie legt dar, dass die Klassenstufen neun und zehn mindestens 45 Wochenstunden zu absolvieren haben. Sie verweist darauf, dass viele Eltern ihre Kinder an einer Gesamtschule anmelden, da dort die Schullaufbahn möglichst lange offen gehalten werde. Sie fordert die Vorlage eines überarbeiteten Schulkonzeptes durch die Niedersächsische Landesregierung.
Frau Thiel macht deutlich, dass eine Gleichstellung aller Schulen gewollt sei und eine größtmögliche Durchlässigkeit und Vergleichbarkeit der Abschlüsse möglich sein solle. Sie verweist Frau Strangmann in ihrem Argument der starken Belastung der Gesamtschüler darauf, dass dort die Differenzierung zu späterem Zeitpunkt erfolge und insofern zunächst der Erwerb des Realschulabschlusses möglich sei. Sie erläutert die Einzelheiten und Möglichkeiten der Durchlässigkeit an Gesamtschulen. Frau Thiel hebt insgesamt die Vorzüge des deutschen Schulsystems hervor; sie fordert allerdings eine verbesserte Vorbereitung der Schüler auf die Grundschule. Auch hierin liegen Möglichkeiten zur Verkürzung der Schulzeit.
Herr Henning spricht sich ebenfalls für die Beibehaltung des Abiturs nach 13 Schuljahren an der Gesamtschule aus. Er weist die Beiträge von Herrn Dr. E. h. Brickwedde und von Frau Winkler zurück. Er führt den heutigen Leistungsdruck der Schüler auf eine verfehlte Schulpolitik zurück. Er verweist auf Proteste von Eltern und Lehrern auch gegen die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur an Gymnasien und schließt sich der negativen Beurteilung dieser Maßnahme an. Er kritisiert, dass mit der Verkürzung der Schulzeit keine Umstrukturierung der Bildungsinhalte erfolgt sei und dass so keine Zeit zum Einüben von Sozialkompetenzen bleibe.
Frau Jabs-Kiesler stimmt aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen Herrn Dr. E. h. Brickwedde in der Einschätzung zu, dass eine Verkürzung der Schulzeit bis zur Studienreife auf zwölf Jahre möglich und mit Blick auf die europäische Landschaft erforderlich sei. Sei spricht sich allerdings für eine Beibehaltung der 13-jährigen Schulzeit an Gesamtschulen aus. Sie hebt den hohen Stellenwert der Gesamtschulen für die Ermöglichung der Durchlässigkeit der einzelnen Schulsysteme, die in dem dreigliedrigen allgemeinen Schulsystem nicht in erforderlichem Umfang gelungen sei. Sie hält die Situation der Schüler an Gymnasien und an Gesamtschulen im Hinblick auf die bestehenden Fördermöglichkeiten für nicht vergleichbar. Abschließend spricht sie sich für die Annahme des Beschlussvorschlages aus.
Herr Hagedorn weist die Vergleiche mit den Schulsystemen anderer Länder insofern zurück, als dort in kleineren Gruppen gelernt werde und auch andere flankierende Maßnahmen ergriffen wurden. Er macht deutlich, dass die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren in Niedersachsen rein fiskalisch begründet sei. Den hierdurch hervorgerufenen Stress an Schulen bezeichnet er als teilweise unerträglich.
Herr Mierke dankt Frau Jabs-Kiesler für ihren Beitrag und spricht sich für die Annahme des Beschlussvorschlages aus.
Frau Graschtat macht abschließend deutlich, dass der Antrag sich keinesfalls grundsätzlich gegen die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren ausspreche, sondern lediglich der besonderen Situation von Gesamtschulen Rechnung getragen werden solle.
Sodann führt Herr Ratsvorsitzende Thöle die Abstimmung über den schriftlich vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen herbei:
Beschluss:
Der Rat unterstützt die Proteste von Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie Lehrkräften gegen die Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren auch an Gesamtschulen und fordert die Landesregierung und die Regierungsfraktionen auf, auf eine entsprechende Änderung des Schulgesetzes zu verzichten.
Beratungsergebnis:
Die Abstimmung erfolgt offen.
Der Beschluss wird unter Berücksichtigung der Pairing-Vereinbarung mehrheitlich von den Mitgliedern der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dem Oberbürgermeister sowie den Ratsmitgliedern Cheeseman und Mierke gegen die Stimmen der Mitglieder der CDUFraktion und der FDP-Fraktion angenommen.
Fragen zu diesem Antrag
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