1. Der Rat der Stadt Osnabrück hält auch in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft die
Gewährleistung der vollen ArbeitnehmerInnenrechte sowie die Beschränkung des
besonderen Tendenzschutzes auf den Bereich der religiösen Verkündigung für
erforderlich. Deshalb fordert er den Bundesgesetzgeber auf, den § 9 AGG (Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz) entsprechend zu ändern und den § 118 Abs. 2 BetrVG
(Betriebsverfassungsgesetz) zu streichen.
2. Die Verwaltung wird beauftragt, mit den von der Stadt finanzierten kirchlichen
Einrichtungen Gespräche zu führen, die zum Ziel haben, dass diese bis zu einer
entsprechenden Gesetzesänderung freiwillig auf die derzeit noch bestehenden
Sonderrechte im Umgang mit den bei ihnen Beschäftigten verzichten.
3. Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen, ob bei künftigen Verträgen mit Einrichtungen/
externen Trägern (konfessionsgebunden und konfessionsneutral) Vereinbarungen
bezüglich der arbeitsrechtlichen Regelungen der dort Beschäftigten getroffen werden
können. Ziel dieser Vereinbarung soll die Gewährleistung der vollen
ArbeitnehmerInnenrechte in allen von der Stadt finanzierten Einrichtungen sein.
Sachverhalt:
Die beiden großen christlichen Kirchen sowie die Wohlfahrtsverbände in kirchlicher
Trägerschaft wie Caritas und Diakonie übernehmen vielfältige Aufgaben im sozialen Bereich
und in der Jugendhilfe. Sie unterhalten Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und vielfältige
weitere soziale Einrichtungen – auch in Osnabrück. Hier gibt seit langem eine gute und
partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Stadt und den kirchlichen Trägern. In den
kirchlichen Einrichtungen sind viele MitarbeiterInnen beschäftigt, die zum Wohle unserer
Stadt hervorragende Arbeit leisten.
Für die beiden großen christlichen Kirchen und ihre Einrichtungen gelten besondere
arbeitsrechtliche Regelungen. So hat hier das Betriebsverfassungsgesetz keine Gültigkeit (§
118 Abs. 2 BetrVG). Auch gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nur bedingt
(§ 9 AGG). Diese Sonderrechte haben für die davon betroffenen ca. 1,2 Millionen
Beschäftigten teilweise gravierende Folgen. Ihnen ist z.B. das Streikrecht weitgehend
versagt. Ein Austritt aus der Kirche führt in der Regel zur Kündigung. Beschäftigte
katholischer Einrichtungen sind zudem gehalten, die Wert- und Moralvorstellungen des
Arbeitgebers auch privat einzuhalten. Dadurch können z.B. Geschiedene, die erneut eine
Partnerschaft eingehen, oder gleichgeschlechtlich lebende Beschäftigte, die in einer
eingetragenen Lebenspartnerschaft Verantwortung für ihre/n Partner/in übernehmen,
entlassen werden.
Dieses Recht der Kirchen gilt auch dann, wenn die kirchlichen Einrichtungen ganz oder zu
großen Teilen von staatlichen Stellen (Bund, Länder und/oder Kommunen) finanziert werden.
Wir sind uns bewusst, dass die Anwendung dieses besonderen Arbeitsrechts in Osnabrück
sensibler gehandhabt wird, als in anderen Kommunen.
Gleichwohl sollte dieser Zustand aus mehreren Gründen möglichst schnell geändert werden:
– ÄrztInnen, AltenpflegerInnen, KindergärtnerInnen oder SchuldnerberaterInnen heilen
Kranke, pflegen Alte, erziehen Kinder oder beraten verschuldete Menschen – wer der
evangelischen oder katholischen Kirche nicht angehört, ist dadurch für diese Tätigkeiten
ebenso wenig disqualifiziert wie Menschen, die ein zweites Mal heiraten oder in einer
homosexuellen Partnerschaft leben.
– Viele Betroffene müssen potentiell ihr Privatleben vor ihrem Arbeitgeber verheimlichen.
– In den Einrichtungen der Kirche gibt es einen wachsenden Anteil von Menschen anderer
Glaubensrichtungen oder kultureller Vorstellungen. Auch diese Menschen müssen in
Einrichtungen, die im öffentlichen Interesse mit öffentlichen Mitteln arbeiten, ein
entsprechendes, kultursensibles Angebot finden.
– In Sozialeinrichtungen, die weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, müssen
die Grundrechte, insbesondere Religions- und Weltanschauungsfreiheit, gewährleistet
sein.
Zum Umfang der Aufgabenwahrnehmung der kirchlichen Träger und zum Ausmaß der
betroffenen ArbeitnehmerInnen wird auf die Mitteilungsvorlage der Verwaltung
VO/2012/1315 v. 3.7.2012 verwiesen.
Die derzeit gültige Rechtslage und Praxis wird insbesondere von vielen MitarbeiterInnen der
kirchlichen Einrichtungen kritisiert. Aber auch viele Gläubige und kirchliche Institutionen
fordern Änderungen; u.a. im September 2012 der Vorsitzende des Bundes der Deutschen
Katholischen Jugend (BDKJ) sowie kürzlich die Konferenz der Diakonie der Region OS
(NOZ v. 6.3.2013).
Inzwischen haben mehrere Gerichte den Betroffenen Recht gegeben (z.B. ArbG Aachen,
BAG zum wiederverheirateten katholischen Geschiedenen, LAG Hamm und Hamburg,
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, BAG zum Streikrecht). Es ist wenig
zielführend, wenn sich die Betroffenen ihr Recht individuell erstreiten müssen. Eine
Änderung der gesetzlichen Grundlagen ist daher geboten (vgl. Beschluss Nr.1).
Bis dahin können freiwillige Vereinbarungen (vgl. Nr. 2) bzw. vertragliche Regelungen (vgl.
Nr. 3) in OS für Abhilfe sorgen.
Fragen zu diesem Antrag
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